Man kennt solche Bilder: Angeklagte in der Hauptverhandlung, die in demütigenden Posen der Öffentlichkeit wie ein Tier im Zoo vorgeführt werden. Wer kann, versucht, sein Gesicht zu verbergen, unter einem über den Kopf geworfenen Kleidungsstück oder hinter dem Aktendeckel eines Leitzordners. Besonders schlimm, weil besonders peinlich, wird es, wenn Strafverteidiger neben solchen armen Geschöpfen posieren, weil sie das für werbewirksam halten. Ganz ausgefuchste Marketingstrategen reichen dem Mandanten gar noch einen Leitzordner, der auf dem Rücken gut sichtbar den Namen ihrer Kanzlei trägt. „Fremdschämen“ ist da als Ausdruck noch zu schwach – man möchte mit Kurt Tucholsky sagen: „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“
Die demütigende Vorführung von Angeklagten hat Tradition. Man sehe sich etwa die Aufnahmen der Prozesse gegen die Hitler-Attentäter vor dem Volksgerichtshof an, insbesondere die Szene, in der Generalfeldmarschall von Witzleben, von der Folter gezeichnet und abgemagert, vor dem Vorsitzenden Freisler steht und sich die Hose mit den Händen festhalten muss, weil man ihm die Hosenträger abgenommen hat, um von Freisler angeherrscht zu werden „Was fassen Sie sich dauernd an die Hose, Sie schmutziger alter Mann?“. Mehr darüber steht hier.
Kein Verteidiger, der auch nur einen Funken Berufsehre in sich trägt, sollte irgendetwas unversucht lassen, um seinem Mandanten solche Szenen zu ersparen. Kein Mandant möchte gerne ins Rampenlicht gezerrt werden und sein Foto in der Presse oder im Fernsehen wiederfinden, schon gar nicht in einer der eingangs geschilderten entwürdigenden Posen. Und glauben Sie uns: Werbewirksam ist das auch nicht. Oder meinen Sie wirklich, es werde der Tag kommen, an dem ein Mandant bei Ihnen klingelt und um Mandatsübernahme mit den Worten bittet „Ich möchte auch gerne mal mit einem Leitzordner vor dem Gesicht neben Ihnen sitzen!“?
Erfolgreiche Eigenwerbung betreibt der Verteidiger vielmehr, wenn der Mandant spürt, dass sein Anwalt alle Register zieht, um die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten zu wahren und ihn keiner öffentlichen Demütigung auszusetzen.
Der erste Schritt in diese Richtung ist unproblematisch und besteht in einem offenen Gespräch mit dem Vorsitzenden, dem man mitteilt, dass der Mandant in der Hauptverhandlung nicht abgelichtet werden möchte. In einem spektakulären Mordverfahren beim Landgericht Mannheim konnten wir durch ein solches Gespräch mit dem Vorsitzenden erreichen, dass der Mandant erst in den Sitzungssaal geführt wurde, nachdem die Schwurgerichtskammer den Saal betreten und die mit Aufnahmegeräten ausgestatteten Pressevertreter diesen verlassen bzw. Foto-und Filmaufnahmen eingestellt hatten. Vorher ordnete der Vorsitzende nochmals ausdrücklich an, dass Foto- und Filmaufnahmen vom Angeklagten nicht gestattet sind. Dies hatte zur Folge, dass tatsächlich während des gesamten Prozesses keine Aufnahmen vom Angeklagten veröffentlicht wurden. Lediglich eine Gerichtszeichnerin war anwesend, deren Zeichnungen dann in der Presse gezeigt wurden.
In einem anderen Fall beim Landgericht Mannheim befand sich der Angeklagte, dem sexueller Missbrauch von Kindern angelastet wurde, auf freiem Fuß. Es bestand daher zu befürchten, dass er beim Betreten des Sitzungssaals abgelichtet werden würde. Hier ließ sich mit dem Vorsitzenden folgende Übereinkunft erzielen: der Mandant, dessen Erscheinungsbild öffentlich nicht bekannt war, fand sich gehörige Zeit vor Sitzungsbeginn im Gebäude des Landgerichts ein und durfte sich in einem gesonderten Raum aufhalten. Die Verfahrensbeteiligten nahmen im Sitzungssaal Platz, die Strafkammer trat ein und rief die Sache auf. Mit Aufruf der Sache (beachte: vorher gibt es für den Angeklagten keine Anwesenheitspflicht) wurden die anwesenden Pressevertreter aufgefordert, Aufnahmen einzustellen. Der Vorsitzende fragte sodann absprachegemäß den Verteidiger, wo sein Mandant sei. Der Verteidiger verständigte den Mandanten per Handy und dieser betrat den Sitzungssaal. Auch in diesem Fall konnte erreicht werden, dass keine Aufnahmen vom Mandanten in der Presse auftauchten.
So glatt läuft es nicht immer. In einem Terrorismusverfahren, in dem wir vor Sitzungsbeginn unser Ansinnen dem Vorsitzenden vortrugen, zeigte sich dieser wenig aufgeschlossen und stellte anheim, der Mandant möge sich einen Leitzordner vor das Gesicht halten. Damit waren wir nicht einverstanden und teilten dem Mandanten die Einstellung des Vorsitzenden mit. Der Mandant äußerte daraufhin, er werde den Sitzungssaal nicht betreten, solange filmende und fotografierende Pressevertreter sich darin aufhielten. Dies wiederum hinterbrachten wir dem Vorsitzenden, der den Angeklagten daraufhin in der Vorführzelle aufsuchte, ihn aber nicht umzustimmen vermochte. Eine gewisse Übereinkunft (der Senatsvorsitzende wollte es offenbar nicht darauf anlegen, den ersten Hauptverhandlungstag mit Tagesschau-Bildern von einem Angeklagten zu beginnen, der in den Saal getragen wird) konnte anschließend dahingehend erzielt werden, dass der Mandant als letzter in den Sitzungssaal geführt und ihm gestattet wurde, sich vollständig mit einem Kapuzenpullover zu maskieren. Nachdem wir den Pressevertretern nochmals ausdrücklich mitgeteilt hatten, dass er nicht abgelichtet werden wollte und uns gar vor den Angeklagten stellten, erschienen auch in diesem Verfahren (anders als ursprünglich von uns erwartet) keine Bilder unseres Mandanten in der Presse.
Vorzugswürdig erscheint es uns immer, mit dem Vorsitzenden hinsichtlich dieser Frage ein offenes Gespräch zu führen und auch andere Punkte, die ansonsten zu neuralgischen werden können, auf diese Weise klären (Sitzordnung usw.) – verlagern Sie sowas nach Möglichkeit nicht in die Hauptverhandlung. Garnieren lassen sich entsprechende Ansinnen immer mit dem Hinweis, dass das Verfahren ohnehin schwierig genug sei und alle Verfahrensbeteiligten gewiss ein Interesse daran hätten, es nicht mit unnötigen Scharmützeln über Fragen zur Geschäftsordnung zu befrachten. Nach unserer Erfahrung zeigen sich viele Vorsitzende einer solchen Argumentation zugänglich.
Trifft man auf uneinsichtige oder verstockte Vorsitzende, die dem freundlich fragenden Verteidiger lediglich entgegnen, hinsichtlich der Frage von Aufnahmen des Angeklagten werde man so verfahren, wie man es schon immer gemacht habe (eine uns aus Süddeutschland bekannte Formulierung), so sollte der Verteidiger in jedem Fall vor Beginn der Hauptverhandlung einen förmlichen Antrag anbringen, den die Kammer dann bescheiden muss. Ein solcher Antrag kann etwa so aussehen:
Ganz klar: mit diesem Antrag strebt der Verteidiger das Maximum des Erreichbaren an. Auch ganz klar: das Informationsinteresse der Öffentlichkeit kann hinter den Persönlichkeitsrechten des Angeklagten nicht komplett zurücktreten. Warum aber nicht zunächst einmal alles versuchen? Gewappnet sein sollte man in jedem Fall gegen das gelegentlich gehörte Argument, dem Antrag könne man schon deswegen nicht bzw. in diesem Umfang nachkommen, weil das Bundesverfassungsgericht ansonsten „dazwischenhauen“ werde, wenn Pressevertreter sich beschwerten. Es gibt keine einzige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der die Ablichtung von Angeklagten in der Hauptverhandlung ohne Einschränkungen und in jedem Fall für zulässig erachtet wird. So lagen etwa der in diesem Zusammenhang oft angeführten Entscheidung BVerfG 1 BvR 2022/16 (BeckRS 2016, 52416) ganz besonders gelagerte Umstände zugrunde, die sich in dieser Verallgemeinerung nicht auf jeden Fall übertragen lassen. Insbesondere aber lässt die Entscheidung viel Raum für eine einzelfallbezogene Abwägung, die der Verteidiger stets mit guten Argumenten versuchen sollte zu beeinflussen.
Verteidiger werden mit entsprechenden Vorstößen nicht immer und uneingeschränkt Erfolg haben. Der Mandant wird es seinem Verteidiger allerdings danken und Engagement in diesem Bereich wird sich herumsprechen – weit mehr als ein lächerliches Foto von einem posierenden Verteidiger neben einem Angeklagten, der sein Gesicht mit einem Leitzordner verdeckt, der den Namen jenes Verteidigers trägt. Nochmals: Glauben Sie uns.
Verteidigern sei für eine vertiefte Befassung mit der Materie „Strafverteidigung und Presse“ im Übrigen die überragende Darstellung von Schroth in Breyer/Endler, AnwaltFormulare Strafrecht (4. Aufl.) empfohlen. Was in diesem Beitrag nicht behandelt wird, muss man schlichtweg nicht wissen.